Der FRIBIS-Workshop „Das bedingungslose Grundeinkommen als ökonomisches Narrativ?“ (20.–22. September 2023)

Es herrscht ein gewisses Durcheinander, wenn es um ‚Narrative‘ geht. Während manche das Wort ,Narrativ‘ für eine nichtssagende Floskel halten, verwenden andere den Narrativbegriff wie selbstverständlich als Analysekategorie zur Erklärung gesellschaftlicher Phänomene. Und während die einen davon sprechen, dass gegnerische Vorstellungen „bloße Narrative“ seien, stellen andere fest, dass wir „neue Narrative brauchen“. Gerade auch im Grundeinkommensdiskurs spielt der Narrativbegriff eine wichtige Rolle: Ist das BGE zum Beispiel ein „bloßes Narrativ“ – oder bedarf es neuer Narrative, etwa eines Gegen-Narrativ zum Leistungsgedanken, um dem Grundeinkommen mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen?

Begrüßung durch Prof. Andreas Urs Sommer

Zur Veranstaltung

Das FRIBIS-Team Partizipation und bedingungsloses Grundeinkommen – ‚Narrative‘ der Zukunft (PartUBI) hat zwischen 20. und 22. September 2023 einen Workshop veranstaltet, um Licht ins Dickicht der Narrative zu bringen. Die von Leon Hartmann, Sebastian Kaufmann und Robert Krause organisierte Veranstaltung stand unter dem Titel „Das bedingungslose Grundeinkommen als ökonomisches Narrativ?“ Zu den Vortragenden gehörten Nachwuchsforschende und arrivierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen (das Programm finden Sie hier).

 

Unterschiede zwischen den Teilnehmenden zeigten sich vor allem im Hinblick auf die Verwendung des Narrativbegriffs und die jeweiligen methodischen Prämissen. So nahmen einige Vortragende methodologische Metaperspektiven ein und sprachen darüber, welche Denotationen und Konnotationen dieser Begriff hat und wie er in bestimmten Diskursen gebraucht wird. Andere Vortragende waren dagegen weniger an der Analyse diskursiver Praktiken interessiert als vielmehr an gesellschaftlichen Phänomenen rund um das Grundeinkommen, die sie mit dem Narrativbegriff analytisch zu erfassen suchten. Dass Vertreterinnen und Vertreter dieser unterschiedlichen Herangehensweisen im Zuge des Workshops ins Gespräch gekommen sind, hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen.

Fazit und weiteres Vorgehen von PartUBI

Es wurde im Zuge des Workshops deutlich, wie zukunftsweisend das Thema der Narrative in seinem Zusammenhang mit dem Grundeinkommen ist und wie entscheidend der Narrativbegriff gegenwärtige Gesellschaftsdebatten bestimmt. Die Mitglieder von PartUBI sehen sich daher bestärkt in ihrem Anliegen, die Verwendung des Narrativbegriffs und die Funktion von ‚Narrativen‘ im Kontext von Kultur, Wissenschaft und Politik in Zukunft noch genauer zu untersuchen. Als Nächstes steht die Publikation eines Sammelbands in der FRIBIS-Schriftenreihe an, in dem die ausgearbeiteten Beiträge der Workshop-Teilnehmenden veröffentlicht werden.

Prof. Dr. Michael Roos

Enno Schmidt an der Finanz-Universität in Moskau, „Wachstum oder Rezession: Was ist zu erwarten?“

Auf Einladung der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation in Moskau, vermittelt durch die Russische Doktorandin an der Götz Werner Professur (GWP) an der Universität Freiburg, Alexandra Pilyus, reiste Enno Schmidt als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der GWP zur Hundertjahrfeier der Universität zu dem internationalen Forum „Wachstum oder Rezession: was ist zu erwarten?“.

Ziel der Reise war es, auf dem Kongress Vorträge zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) zu halten, vor Ort mit Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und ehemaliger Chefökonom der Weltbank, ins Gespräch zu kommen über Möglichkeiten wissenschaftlicher Forschung zum BGE und das Freiburg Institute for Basic Income Studies (FRIBIS), Aktivisten der Russischen Grundeinkommensbewegung zu treffen und den Aufbau einer FRIBIS Gruppe mit Professorinnen und Professoren der Finanzuniversität in Moskau zu beginnen.

In seinem Vortrag zeigte Joseph Stiglitz vieles auf und forderte einiges, worauf ein BGE eine Antwort sein könnte. Er zeigte zum Beispiel, dass die typischen finanziellen Anreizsysteme weder effektiv noch effizient sein, eher sogar kontraproduktiv, dass nicht materielle Anreize mehr Wirkung haben, dass Gesellschaften/Wirtschaften besser funktionieren und mehr erreichen, wenn die Ungleichheit gering ist und wenn gesellschaftliches/wirtschaftliches Handeln die Auswirkung auf andere mit berücksichtigt. Regeln und Normen, so betonte er, spielen eine große Rolle. Er analysierte und beklagte Instabilität und den Vertrauensverlust gegenüber Institutionen durch das ausbeuterische Verhalten des Finanzsektors. Der Sozialvertrag, so Stiglitz, sei gebrochen worden. Unsicherheit verlangsame den Fortschritt, behindere Innovation. Wirtschaftliche Sicherheit erhöhe die benötigte Risikobereitschaft. Die Wirtschaft müsse für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Wirtschaft.

Eine Erneuerung des Sozialvertrages? Vertrauen als gesellschaftliche Basis, mehr Stabilität und wirtschaftliche Sicherheit für alle? Erneuerung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Normen? Weniger Ungleichheit, Zurückfahren des Irrtums, dass finanzielle Anreizsysteme produktive Leistung generieren? Das alles passt zu einer Haltung, die ein bedingungsloses Grundeinkommen in Betracht ziehen kann.

Enno Schmidt erinnerte Herrn Stiglitz daran, dass er 2016 zur Volksabstimmung über die Einführung eines BGE in der Schweiz ein Statement abgegeben hatte: Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei für die Schweiz ein richtiger Schritt.
Diesmal allerdings war seine Meinung zum BGE eher unverständig und ablehnend. Er glaube nicht, sagte er, dass Menschen ohne eine sinnvolle Arbeit glücklich werden. Der Staat müsse dafür sorgen, dass jeder einen bezahlten Job finden kann. Ein Leben ganz ohne Arbeit, vielleicht in spiritueller Versenkung, das sei wohl nur für wenige attraktiv, meinte er. Es fehle außerdem am Geld für so ein Grundeinkommen. Geld sei knapp. Und das Grundeinkommen müsse ja hoch genug sein, um wirklich davon leben zu können.

In Russland ist das bedingungslose Grundeinkommen noch wenig bekannt und wird nicht diskutiert. Wer Geld will soll arbeiten. Gäbe es das Geld einfach so, würden die Leute nicht arbeiten und verkommen. Das ist einhellig und fraglos die Haltung gegen ein BGE. Zudem kommt den Menschen in Russland – wie auch in anderen Ländern des früheren Sowjet-Sozialismus – bei einem BGE als erstes der Kommunismus in den Sinn. Zwischen dem BGE und den Idealen des Kommunismus wird eine Ähnlichkeit gesehen. Unter der Zielsetzung dieser Ideale ist im real existierenden Sowjet-Sozialismus viel Blut geflossen, hat viel Leid und Unterdrückung stattgefunden. Das will man nicht nochmal. Wobei allerdings die Beurteilung der Sowjetzeit nicht so einhellig ist. Manche finden, es sei damals besser als heute gewesen. Man habe mehr Möglichkeiten gehabt, es sei gerechter zugegangen, es seien viele gute Errungenschaften nach dem Ende der Sowjetunion abgebaut worden. Aber auch heute sind die Menschen in Russland stolz auf ihre Leistungen und der Ansicht, dass sie es als Land ein bisschen besser machen als alle anderen. So, wie es die Menschen in anderen Ländern für sich auch in Anspruch nehmen.

Unter Vermittlung von Alexandra Pilyus hat sich in Gesprächen mit Enno Schmidt ein Team hochkarätiger Wissenschaftler der Finanzuniversität für eine FRIBIS-Arbeitsgruppe gefunden.

Die Vorstöße von Vladimir Putin zu einem garantierten Mindesteinkommen, höheren Renten, staatlichen Zuschüsse für Kinder und Familien etc. gehen in die Richtung einer Änderung des Sozialvertrages, in dem ein BGE nicht mehr völlig undenkbar ist, sondern sogar als Vereinfachung, Effektivitäts- und Effizienzsteigerung unter den gesteckten Zielen gesehen werden könnte.

FRIBIS Eröffnungsfeier

Am 28. Oktober wurde das Freiburg Institute for Basic Income Studies (FRIBIS) an der Universität Freiburg gegründet. Der Kompetenzverbund FRIBIS wird aus dem Blickwinkel verschiedener Fakultäten das bedingungslosen Grundeinkommens untersuchen. Intendiert ist FRIBIS im weiteren Ausbau als Internationales Zentrums der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen Akteuren zur Erforschung des BGE bis hin zur Einführung.

Auf der Gründungsveranstaltung des FRIBIS sprachen der Rektor der Universität, Prof. Dr. Dr. Hans-Jochen Schiewer, der Inhaber der Götz Werner Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie und leitende Gründungsdirektor des FRIBIS, Prof. Dr. Bernhard Neumärker, Beatrice Werner für das Stifterehepaar Götz und Beatrice Werner, die Gründerin des Projektes `Sanktionsfrei/HartzPlus‘, Helena Steinhausen, und eine wissenschaftliche Mitarbeiterin dieses Projektes, Aseman Bahadori.
Zahlreiche Protagonisten des Grundeinkommens aus Deutschland und dem Ausland waren zu der Veranstaltung angereist.

Die Gründungsdirektoren des Kompetenzverbundes an der Universität Freiburg sind neben Bernhard Neumärker die Professorin Andrea Kiesel, Institut für Psychologie, die Professoren Bernhard Nebel, Institut für Informatik, Gregor Dobler, Institut für Ethnologie, Matthias Nückles, Institut für Erziehungswissenschaften, und Klaus Bauman, Theologische Fakultät.

Die Arbeitsweise des FRIBIS sieht interdisziplinäre Gruppen vor, die mit Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen BGE-Akteuren besetzt sind. Ziele der Arbeitsgruppen sind die wissenschaftliche Begleitung und Ausarbeitung von Projekten sowie die Erarbeitung wissenschaftlicher Ergebnisse zu Themengebieten des bedingungslosen Grundeinkommens.

Arbeitsgruppen bestehen bereits zum Mehrwertsteuerfinanzierten Grundeinkommen mit u.a. Prof. Dr. Dr. Friedrich Schneider aus Linz und dem Gründer der `Generation Grundeinkommen‘ in Österreich, Helmo Pape, und zur Psychologie des Grundeinkommens.
Im Aufbau ist eine Gruppe zu dem Projekt `Sanktionsfrei/HartzPlus‘ aus Berlin mit u.a. Prof. Dr. R. Wieland von der Universität Wuppertal und Helena Steinhausen.
Ebenfalls im Aufbau sind Arbeitsgruppen zu: Management von BGE-Organisationen, Stärkung von Gemeinschaften durch ein BGE gegen den Ausverkauf von Land und Ressourcen insbesondere in afrikanischen Ländern. Weitere Gruppen sind in Planung.

Das FRIBIS baut auf der Götz Werner Professur auf. Diese wurde im Mai 2019 an der Universität Freiburg eingerichtet für den Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie, Prof. Dr. B. Neumärker. Stifter dieser Namens-Professur sind das Ehepaar Beatrice und Götz W. Werner. Götz W. Werner ist Gründer des dm drogerie-markt Konzerns mit heute 60 Tausend Mitarbeitern und seit vielen Jahren eine der wichtigsten Stimmen für das BGE in Deutschland. An der Götz Werner Professur fest angestellt ist der Künstler Enno Schmidt, Mitbegründer der Schweizer Volksinitiative für ein BGE, zuständig für Öffentlichkeit und Netzwerkarbeit. Die Götz Werner Professur soll dem Diskurs um das Grundeinkommen wissenschaftliche Grundlagen liefern, Impulse geben und öffentliche Wirksamkeit entfalten. Mit der Gründung des FRIBIS ist hierfür eine nächste Ebene erreicht, die sich mit dem Ausbau zu einem internationalen Zentrum noch erweitern wird.

Ein Freiburger Diskurs über Grundeinkommens

Im Rahmen der Freiburger Diskurse (Heinrich Röder) trafen am 25. Oktober 2019 in der Universität Freiburg Prof. Dr. Friederike Spiecker und Prof. Dr. Bernhard Neumärker für ein Streitgespräch über das bedingungslose Grundeinkommen aufeinander.

Frau Prof. Spiecker ist Co-Autorin des Buches «Irrweg Grundeinkommen» (mit Prof. Dr. Heiner Flassbeck), Herr Neumärker ist Inhaber der Götz Werner Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie und Gründungsdirektor des «Freiburg Institute for Basic Income Studies».

Bemerkenswert war, dass Frau Prof. Spiecker die Unterbewertung der Arbeit von Frauen und gemeinnütziger unbezahlter Arbeit generell, die erniedrigende und eher lähmende als fördernde Praxis der Hartz IV Gesetzgebung samt ihrer vergrößernden Auswirkung auf den Niedriglohnsektor, die strukturelle Arbeitslosigkeit und die prekärer werdende Arbeits- und Lebenssituation sehr vieler Menschen deutlich und empathisch sah und ansprach, für eine Lösung der Probleme aber auf das Primat der Erwerbsarbeitsplätze und auf die Forderung höherer Mindestlöhne zurückgriff. Wo man hinter die Problembeschreibung als Lösung hätte schreiben können: «bedingungsloses Grundeinkommen», setzte sie auf die alten Rechenarten der Ökonomie.

Prof. Neumärker griff Aussagen ihres Vortrages auf, um die alte Denkungsart zu entzaubern und sie in ein logisches Verständnis des bedingungslosen Grundeinkommens zu überführen.

Weitgehend einig waren sich beide in der Problembeschreibung, diametral entgegengesetzt in der Lösungsperspektive.

Von Enno Schmidt