Die FRIBIS-Jahrestagung 2024: Ein Rückblick

Die FRIBIS-Jahrestagung 2024 fand vom 7. bis 9. Oktober an der Universität Freiburg statt. Unter dem Titel „Towards the development of a full UBI? Perspectives on partial approaches in different welfare systems“ brachte die Konferenz über 40 Vortragende und 79 registrierte Teilnehmende zusammen, wobei das hybride Format sowohl die Teilnahme vor Ort als auch online via Zoom möglich machte. In acht Sektionsblöcken mit jeweils bis zu drei parallelen Veranstaltungen wurden zentrale Fragen des Grundeinkommensdiskurses verhandelt – von partiellen Grundeinkommensansätzen über ökologische Perspektiven bis hin zu geschlechterspezifischen Aspekten. Die vier Keynotes der Tagung hielten Alexander Spermann (FOM Hochschule Köln), Jörg Althammer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt), Bernhard Neumärker (FRIBIS) und Fabio Waltenberg (Universidade Federal Fluminense, Brasilien), die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Umsetzbarkeit und den Herausforderungen von Grundeinkommensmodellen befassten.

Die thematischen Schwerpunkte der Tagung

Die Tagung war in drei thematische Schwerpunkte gegliedert: Im ersten Themenbereich ging es um das BGE als soziale Grundsicherung und dessen Rolle im Wohlfahrtsstaat. Hier stand besonders das Verhältnis von Bedingungslosigkeit und gezielter Unterstützung vulnerabler Gruppen zur Diskussion. Der zweite Schwerpunkt widmete sich der Verbindung von Grundeinkommen und Nachhaltigkeit, wobei Ansätze wie Klimadividenden und CO2-Besteuerung im Mittelpunkt standen. Der dritte Themenblock gab internationalen Perspektiven Raum und untersuchte die Möglichkeiten supranationaler BGE-Modelle wie etwa einer europäischen Grundeinkommensdividende.

Die thematische Vielfalt der Tagung erwies sich als ebenso bereichernd wie anspruchsvoll, wie unter anderem Simon März berichtete, Mitglied des FRIBIS-Teams XUBI: „Für mich persönlich bestand eine der größten Herausforderungen darin, die Vielfalt der Themen und die dahinterliegenden Konzepte gut zu verarbeiten und einzusortieren. Dies erforderte meiner Wahrnehmung nach noch ein Quäntchen mehr an mentaler Arbeit als auf Konferenzen, die sich auf einen singulären Sachverhalt fokussieren.“ Die Bandbreite der Diskussionen hob auch Ulrich Schachtschneider hervor, Energieberater, freier Sozialwissenschaftler und Mitglied im FRIBIS-Team UBITrans. Positiv überraschte Schachtschneider die „Thematisierung von Narrativen“ durch Gudrun Kaufmann vom FRIBIS-Team care. Als intellektuell besonders anregend empfand er zudem die von Prof. Bernhard Neumärker aufgeworfene Diskussion zur „libertarian trap/authoritarian trap“ im Kontext verschiedener Freiheitskonzepte und deren Bedeutung für den Grundeinkommensdiskurs.

Kontroverse um partielle Grundeinkommensmodelle

Der erste Themenkomplex „BGE als soziale Grundsicherung und/odersocial protection floor“ widmete sich der kontroversen Debatte um partielle Grundeinkommensmodelle. Während Spermann in seiner Keynote für ein partielles BGE als realistische Option für Deutschland plädierte, verwies Althammer in seiner Keynote auf das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Zielsetzungen: Verteilungsgerechtigkeit, fiskalische Machbarkeit und ökonomische Effizienz ließen sich nicht gleichzeitig optimal erreichen. Auch eine andere Grundsatzdebatte erwies sich als echte Herausforderung, wie Verena Löffler, Mitglied des FRIBIS-Teams care, berichtet:

Die Argumentation, dass es aus aktivistischer Perspektive sinnvoll ist, ein Grundeinkommen unabhängig von der konkreten Höhe einzuführen, die zum Beispiel ein Existenzminimum sichern soll, ist auf viel Widerstand gestoßen. Diese Reibung innerhalb der Forschungsgemeinschaft (und auch unter den Aktivist:innen) diesbezüglich kann gewinnbringend, aber auch spaltend sein.

Verena Löffler

Verfassungsrechtliche Hürden im Fokus

Neben der grundsätzlichen Debatte um partielle versus vollständige Grundeinkommensmodelle wurden auch konkrete Umsetzungshürden thematisiert. Besonders herausfordernd gestaltete sich ein Workshop zu verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der BGE-Einführung, wie Co-Moderator Otto Lüdemann, Prof. em. für Erziehungswissenschaften an der HAW Hamburg, berichtet:

Von dieser Thematik kann ich zwar sagen, dass sie mich persönlich in hohem Maße interessiert, teilweise sogar fasziniert, muss aber andrerseits zugeben, dass ich selber weder Jurist, noch gar Verfassungsrechtler bin. Insofern war es umso misslicher, dass ein zu dem Workshop eingeladener, ausgewiesener Experte, nämlich Dr. Maximilian Bauer, der Leiter der ARD-Rechtsredaktion beim SWR in Karlsruhe, leider verhindert war und absagen musste. Auch unter den interessierten Teilnehmenden fand sich niemand, der diese Lücke eventuell hätte schließen können. Jedenfalls verfügte weder ich, noch auch mein Co-Moderator, Herr Neumärker, über ausreichendes, diesbezügliches Expertenwissen, um insbesondere einem Teilnehmer Paroli zu bieten, der bestimmte in meinem Einleitungsbeitrag zitierte gutachterliche Aussagen von Autoren des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2016 in Zweifel zog. Konkret ging es um die These, wonach es derzeit an einem geeigneten, grundgesetzlichen ,Kompetenztitel‘ für die Einführung eines BGE mangelt, immerhin eine These mit potenziellen, weit-reichenden Konsequenzen. Für den Fall, dass sich eines Tages der politische Wille zur Einführung eines BGE abzeichnen sollte, könnte dieser Umstand ja in der Tat die Umsetzung eines solchen politischen Willens, wenn nicht dauerhaft, so zumindest doch auf Jahre blockieren.

Otto Lüdemann

Als konstruktiven Ausweg schlug Lüdemann vor, die verfassungsrechtliche Problematik in einem ARD-Podcast mit Experten und Vertretern des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu vertiefen.

BGE und ökologische Transformation

Der zweite Themenschwerpunkt der Tagung bestand in der Frage, wie Grundeinkommen und ökologische Nachhaltigkeit zusammen gedacht werden können. Dabei wurden verschiedene Instrumente diskutiert, die sowohl soziale Sicherheit als auch ökologische Transformation unterstützen könnten – von Klimadividenden bis hin zu speziellen Grundeinkommensmodellen für den Naturschutz. Besonders beeindruckt zeigte sich Simon März von der Arbeit des FRIBIS-Teams BINC:

Deren Ansatz, durch Grundeinkommenszahlungen der ökologischen Degradation systematisch entgegenzuwirken, fand ich vielversprechend. Interessant an der Arbeit des FRIBIS-Teams erschien mir vor allem auch, dass es dieses Konzept an verschiedenen Orten wie Indonesien, Kambodscha und Indien erforscht. Somit wird es in verschiedensten Kontexten untersucht und ich bin gespannt, was die Forschungsprojekte des Teams für Ergebnisse liefern werden.

Simon März

Internationale Perspektiven und globale Implementierungen eines BGE

Die internationale Dimension der Grundeinkommensforschung, die sich exemplarisch am BINC-Projekt zeigt, stand im Mittelpunkt des dritten Themenschwerpunkts der Tagung. Einen besonderen Einblick bot hier Fabio Waltenberg in seiner Keynote zum „Citizens Basic Income“ in der brasilianischen Stadt Maricá. In dieser Stadt mit rund 200.000 Einwohner:innen erhalten fast 50% der Bevölkerung eine Form des bedingungslosen Grundeinkommens, das in einer lokalen Währung („mumbuca“) ausgezahlt wird. Auch andere internationale Implementierungen des Grundeinkommens standen im Fokus: Verena Löffler hob besonders die Panel-Diskussion zur Grundeinkommensstudie in Indien hervor, die sie fasziniert habe:

Die Forscher:innen waren mehrere Monate vor Ort und der Aufbau des Experiments lässt auf spannende Ergebnisse hoffen. Die qualitative Herangehensweise der Forscher:innen aus Großbritannien halte ich in diesem Zusammenhang für besonders vielversprechend.

Verena Löffler

Fazit

Die diesjährige FRIBIS-Jahrestagung erwies sich einmal mehr als produktives Forum des Austauschs zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Die Teilnehmenden hoben besonders die Vielfalt der diskutierten Konzepte und Ideen hervor, von denen alle Beteiligten profitieren konnten. Der kollegiale Charakter der Veranstaltung, die von Ulrich Schachtschneider nicht umsonst als „Familientreffen“ bezeichnet wurde, tat der inhaltlichen Tiefe keinen Abbruch. Besonders positiv wurde allgemein die Verbindung verschiedener Perspektiven aufgenommen, etwa die Verknüpfung von Care-Arbeit und Gender-Aspekten mit der Grundeinkommensdebatte oder die Diskussion ökologischer Transformationspotenziale. Die aufgeworfenen Fragen – von der Kontroverse um partielle Grundeinkommen über verfassungsrechtliche Hürden bis hin zur Verbindung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit – werden den Grundeinkommendiskurs auch weiterhin prägen.

Zu guter Letzt sei der Sin Carne Schwarzwald GmbH für ihr ausgezeichnetes veganes Catering sowie Elza Loginova für ihre professionelle fotografische Dokumentation der Tagung besonderer Dank ausgesprochen.

Der FRIBIS-Workshop „Das bedingungslose Grundeinkommen als ökonomisches Narrativ?“ (20.–22. September 2023)

Es herrscht ein gewisses Durcheinander, wenn es um ‚Narrative‘ geht. Während manche das Wort ,Narrativ‘ für eine nichtssagende Floskel halten, verwenden andere den Narrativbegriff wie selbstverständlich als Analysekategorie zur Erklärung gesellschaftlicher Phänomene. Und während die einen davon sprechen, dass gegnerische Vorstellungen „bloße Narrative“ seien, stellen andere fest, dass wir „neue Narrative brauchen“. Gerade auch im Grundeinkommensdiskurs spielt der Narrativbegriff eine wichtige Rolle: Ist das BGE zum Beispiel ein „bloßes Narrativ“ – oder bedarf es neuer Narrative, etwa eines Gegen-Narrativ zum Leistungsgedanken, um dem Grundeinkommen mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen?

Begrüßung durch Prof. Andreas Urs Sommer

Zur Veranstaltung

Das FRIBIS-Team Partizipation und bedingungsloses Grundeinkommen – ‚Narrative‘ der Zukunft (PartUBI) hat zwischen 20. und 22. September 2023 einen Workshop veranstaltet, um Licht ins Dickicht der Narrative zu bringen. Die von Leon Hartmann, Sebastian Kaufmann und Robert Krause organisierte Veranstaltung stand unter dem Titel „Das bedingungslose Grundeinkommen als ökonomisches Narrativ?“ Zu den Vortragenden gehörten Nachwuchsforschende und arrivierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen (das Programm finden Sie hier).

 

Unterschiede zwischen den Teilnehmenden zeigten sich vor allem im Hinblick auf die Verwendung des Narrativbegriffs und die jeweiligen methodischen Prämissen. So nahmen einige Vortragende methodologische Metaperspektiven ein und sprachen darüber, welche Denotationen und Konnotationen dieser Begriff hat und wie er in bestimmten Diskursen gebraucht wird. Andere Vortragende waren dagegen weniger an der Analyse diskursiver Praktiken interessiert als vielmehr an gesellschaftlichen Phänomenen rund um das Grundeinkommen, die sie mit dem Narrativbegriff analytisch zu erfassen suchten. Dass Vertreterinnen und Vertreter dieser unterschiedlichen Herangehensweisen im Zuge des Workshops ins Gespräch gekommen sind, hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen.

Fazit und weiteres Vorgehen von PartUBI

Es wurde im Zuge des Workshops deutlich, wie zukunftsweisend das Thema der Narrative in seinem Zusammenhang mit dem Grundeinkommen ist und wie entscheidend der Narrativbegriff gegenwärtige Gesellschaftsdebatten bestimmt. Die Mitglieder von PartUBI sehen sich daher bestärkt in ihrem Anliegen, die Verwendung des Narrativbegriffs und die Funktion von ‚Narrativen‘ im Kontext von Kultur, Wissenschaft und Politik in Zukunft noch genauer zu untersuchen. Als Nächstes steht die Publikation eines Sammelbands in der FRIBIS-Schriftenreihe an, in dem die ausgearbeiteten Beiträge der Workshop-Teilnehmenden veröffentlicht werden.

Prof. Dr. Michael Roos

“The State Of The Art In Basic Income Policy” [Video Serie] – 5 Top Autoren teilen ihr Wissen

Willkommen zu unserer öffentlichen, englischsprachigen Vortragsreihe zum Thema “The State Of The Art Of Basic Income Policy”, die im April und Mai 2023 veranstaltet und aufgezeichnet wurde. Fünf Forschende stellen ihre bereits veröffentlichten Papers vor und geben einen vertieften Einblick in ihre Arbeit. Professor Jurgen De Wispelaere, der im Sommer 2023 die GWP-Gastprofessur innehat, moderiert die Vortragsreihe.
Assist.-Prof. Dr. Pilar Gonalons-Pons (University of Pennsylvania)
Dr. Leire Rincón (Autonomous University of Barcelona)

On Monday, 24th April 2023, Prof. Dr. Milena Buchs (University of Leeds) presented a lecture on Sustainable welfare: How do universal basic income and universal basic services compare?(article link).

Bio: Milena Buchs’s research focuses on sustainable welfare and just transitions. She has published widely on the relationship between economic growth and welfare states, and the question of how welfare states can be transformed so that everyone’s needs can be achieved within planetary limits. Several of her publications also focus on the distributional and justice implications of climate policies and measures that improve their distributional outcomes.

On Wednesday, 26th April 2023, Assit.-Prof. Dr. Femke Roosma (Tilburg University) presented a lecture on Between left and right: A discourse network analysis of Universal Basic Income on Dutch Twitter” (article link).

Bio: Femke Roosma’s research focusses on the legitimacy of social policies and welfare states. She studies multiple dimensions of support for the welfare state, solidarity and deservingness perceptions and support for universal basic income. Her research on basic income has appeared in leading journals in sociology and social policy.

On Wednesday, 3rd May 2023, Assist.-Prof. Dr. Pilar Gonalons-Pons (University of Pennsylvania) presented a lecture on Exit, voice and loyalty in the family: findings from a basic income experiment(article link).

Bio: Pilar Gonalons-Pons’s research examines how work, families, and public policies structure economic inequalities. Much of her work, published in leading international journals in sociology and social policy, is guided by the overall goal to develop a comprehensive understanding about the political economy and gendering of care and reproductive paid and unpaid work and its contribution to economic inequalities.

On Monday, 8th May 2023, Prof. Dr. Tim Vlandas (University of Oxford) presented a lecture on The political economy of individual-level support for the basic income in Europe(article link).

Bio: Tim Vlandas’s research interests are in comparative political economy with a particular focus on the determinants and consequences of social and economic policies. He has written several articles on basic income in leading international publications and in 2022 published Foreign States in Domestic Markets (Oxford University Press).

On Wednesday, 10th May 2023, Dr. Leire Rincón (Autonomous University of Barcelona) presented a lecture on A Robin Hood for all: a conjoint experiment on support for basic income (article link).

Bio: Leire Rincón recently completed a PhD in Political Science at the University of Barcelona and the Institut Barcelona d’Estudis Internacionals (IBEI), in which she looked at preferences for universal basic income and competing policy alternatives in comparative perspective. She has published several articles in leading policy journals examining public support for basic income. In addition to public opinion and political behaviour in relation to welfare policies and redistributive politics, in her recent research she also studies different aspects of gender-based violence.

Video Interview mit Prof. Dr. Bernhard Neumärker

Hierzu das ausführlichere schriftliche Interview mit Prof. Neumärker.

Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in der Coronakrise besser helfen als die vom Staat gewährten Stundungen und Kredite?

Prof. B. Neumärker: Ja. Statt des ständigen Nachbesserns aufgrund neuer Hilfsnotwendigkeiten und der teilweise künstlichen Regeln für die Gewährung von Geldern träte eine unbedingte Absicherung für alle. Meine Idee eines Netto-Grundeinkommens (NGE) sieht vor, dass jede Person in der Bevölkerung während der Krisenzeit monatlich und bedingungslos € 500-700 bekommt, und dass Miet- und Kreditzahlungen ausgesetzt werden. Erst nach der Krisenzeit können sie wieder aufgenommen werden. Netto meint also: ohne Miet- und Kreditzahlungen. Das ausgezahlte NGE zuzüglich (ausgesetzte) Miet-, Zins- und Tilgungsleistungen ergibt den Bruttobetrag, der dann für ein Grundeinkommen außerhalb von Krisenzeiten als Orientierungspunkt dienen kann. Vermieter und Kreditgeber sowie deren Angestellte bekommen in der Krise selbstverständlich auch ein NGE.

Auf diese Weise müssen keine Kredithilfen oder Transfers gegeben werden, um ganz im Sinne herkömmlichen Denkens Miete und Kredite bezahlen zu können. Denn diese Einkunftsarten können mit der NGE-Einführung “stillgelegt” werden.

Zinseinnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Geldverleih sind aus ordnungspolitischer Sicht “leistungslose Einkommen”, die in der Krise nicht vorzüglich zu bedienen sind.

Statt im Einzelfall Miet- und Kreditstundungen zu ermöglichen bzw. auszuhandeln, ist dies mit dem NGE von vorneherein und für alle grundsätzlich geregelt.

Damit wird vielen Selbständigen, Kleinunternehmern und Start-Ups unter die Arme gegriffen, aber auch jeder andere hat eine Grundsicherheit, wenn die Krise ihn arbeitseinkommensmäßig trifft. Kredithilfen sind in weit geringerem Maße nötig.

Das NGE ist ein “symmetrisches” Konzept zur “Krisengerechtigkeit“. Ansonsten kommt es zu einer gigantischen Umverteilung hin zu Miet- und Zinseinkommensbeziehern, da deren Einkommen ungehindert weiterlaufen bzw. zwischenzeitlich durch zusätzliche Kreditaufnahme anderer finanziert werden, während aufgrund der Maßnahmen der Regierung zur Krisenbewältigung viele ihr Einkommen für eine Zeit lang unwiederbringlich einbüßen.
Das NGE ist vergleichsweise einfach zu finanzieren, da es sich auf einem relativ geringen Finanzierungsniveau bewegt. Ich rechne mit € 50 MRD mehr auf die bestehenden Ausgaben des traditionellen Sozialsystems. Allerdings: Gesundheit hat in der momentanen Krise eine besondere Rolle, weswegen die Ausgaben des Gesundheitswesens und der damit verbundene Teil des Sozialversicherungssystems natürlich extra betrachtet werden muss.

Mit dem NGE wird eine Basis des Verbrauchs finanziert, der selbstverständlich auch in der Krise nötigt ist.

Die darauf aufbauenden wichtigen Geschäfte können natürlich weiterhin Arbeits-, Gewinn- und Kapitaleinkommen erwirtschaften.
Asymmetrie entsteht in der Krise durch diese weiterlaufenden Tätigkeiten und vor allem notwendige Leistungen für Gesundheitsmaßnahmen und kritische Infrastruktur. Dafür muss der Staat auch bei einem NGE extra Töpfe aufmachen.

Der große Anteil unentgeltlicher Arbeit in der Gesellschaft – mehr als 50% aller geleisteten Arbeit – wird mit dem NGE ebenfalls sichergestellt. Dies betrifft z.B. die Sorgewirtschaft (Pflege, Kinder hüten, etc.) und damit eher eine klassische Domäne der Frauen. Das NGE ermöglicht Leben und damit auch Arbeiten, egal wie hoch deren Rentierlichkeit am Markt für „Investoren“ ist.

Das Krisensicherheit und Krisengerechtigkeit erzeugende NGE bildet die Basis in einem Reformkonzept der langfristigen Einführung eines ausgebauten bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) u.a. anstelle von Arbeitslosengeld und Basisrente. Das NGE kann im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Krise zu einem “partizipativen BGE” aufgestockt werden, das heißt zu einem BGE von ca. € 1200 bis € 1500 im Monat, da mit dem wieder einkehrenden „Normalbetrieb“ der Wirtschaft auch ein höheres Grundeinkommen finanzierbar ist. „BGE“ bedeutet in diesem Reformschritt dann entgegen dem Netto-Grundeinkommen zugleich Brutto-Grundeinkommen.

Bei einer nächsten Krise kann das BGE gleich einem „Krisenautomatismus“ wieder auf ein NGE heruntergefahren werden, womit die Bevölkerung grundsätzlich abgesichert ist.

Die alte Latrinenparole, das BGE sei nicht finanzierbar und würde zu Faulheit im großen Stil führen, lässt sich durch die Krisenerfahrung nicht aufrechterhalten.

Mal europaweit gedacht: Sehen Sie im BGE auch eine Lösung für die Menschen in den besonders betroffenen Regionen in Spanien und Italien?

Prof. B. Neumärker: In Spanien wird das bedingungslose Grundeinkommen bereits in Erwägung gezogen. Man sieht die beschriebenen Vorteile. Aber die politische Durchsetzbarkeit hängt an Politikern, die das Neue auch jetzt noch nicht denken können und im alten großteils neo-liberalen, einseitig oder zumindest dominant wettbewerblich ausgerichteten Wirtschaftssystem aus der Zeit vor der Krise verhaftet sind. Marktkonforme bzw. kapitalgelenkte Wirtschaftspolitik steht in Spanien vor allem wegen der Tatsache einer Minderheitsregierung auf der Kippe.

Ich würde auch im Hinblick auf den europäischen Zusammenhalt für die sogenannte Euro-Dividende plädieren, die europaweit als BGE ausgezahlt wird und auf nationale Sozialsysteme aufgesetzt werden kann. Der Betrag einer Eurodividende wäre z. B. € 250 pro Monat für jeden Bürger der EU. Dieser Betrag kann in der Krisenzeit durch Euro-Bonds und danach durch MwSt. oder – noch besser – durch eine Steuer auf die Integrationsgewinne finanziert werden, denn die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vor- aber auch Nachteile der europäischen Integration tragen ja alle Bürger mit. Dies ist eine Solidarität auch in dem Sinne der Toleranz, dass Integrationsgewinne heute recht ungleich verteilt sind. Man „toleriert“ auf internationaler Ebene die hohen Integrationsgewinne Deutschlands, dafür zeigen die Deutschen „Dankbarkeit“ für die ärmeren Regionen und Länder. Auch national werden mit der Euro-Dividende individuell unterschiedliche Integrationsgewinne und -verluste akzeptabel.

Durch die Coronakrise kommen auf alle Staaten Belastungen in nie da gewesener Höhe zu. Wie ließe sich das BGE gegenfinanzieren?

Prof. B. Neumärker: Im Vergleich zur immensen Schuldenaufnahme z.B. Deutschlands für allerlei Kredithilfen, die die Bürger langfristig wegen der Kreditrückzahlungen des Bundes und der Bedienung der aufgenommenen Kredite finanziell sowohl über das öffentliche Budget als auch privat knebeln und in Abhängigkeiten treiben, wäre die staatliche Kreditaufnahme in der Krisenzeit zur Finanzierung des NGE relativ gering. Die Finanzierung in der Krise wäre also durch Kreditaufnahme des Bundes vergleichsweise kommod.

In Post-Krisenzeiten kann das NGE zum BGE ausgebaut und durch MwSt. oder als negative Einkommensteuer finanziert werden. Die Bevölkerung wird diese Absicherung sicherlich goutieren und die Finanzlast nicht als zu hoch ansehen.

Ökonomen erwarten nach der Coronakrise eine schwere Wirtschaftskrise. Was würde das bedingungslose Grundeinkommen in der Situation einer stark gebremsten Wirtschaft bedeuten? Die Menschen hätten zwar Geld, es gäbe aber keine Waren zum Kaufen?

Prof. B. Neumärker: Solange die Wirtschaft nicht auf Leistung angefahren ist, bedient das Netto-Grundeinkommen die „Aufrechterhaltungswirtschaft“: Nahrungsmittel, Grundversorgung, Erhalt kritischer Infrastruktur. Die Regierung muss hier nur dafür sorgen, dass der dafür benötigte Handel aufrecht erhalten bleibt. Die Nachfrage ist ja durch das NGE grundsätzlich gesichert.

Je nachdem, wie schnell sich Wirtschaft und Gesellschaft (!) erholen, kann das NGE bis zum partizipativen BGE aufgestockt werden. Durch den Aufbau der Produktion gibt es dann ja mehr Güterkonsumpotential. Dabei haben die Menschen durch das bedingungslose Grundeinkommen aber auch noch Zeitsouveränität und Selbstbestimmungsoptionen hinzugewonnen. Damit wird zugleich Macht in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zum Individuum hin umverteilt. Die Bürger sollten sich das was kosten lassen.

Für wie realistisch halten Sie Ihre Szenarien? Wann wäre die beste Zeit, das bedingungslose Grundeinkommen umzusetzen?

Prof- B. Neumärker: Die beste Zeit ist jetzt und so schnell wie möglich.

Die Diskussion kommt immer mehr ins Rollen. Nicht nur in Spanien: Es laufen auch in Deutschland recht erfolgreich Petitionen, da vor allem für Selbständige, Kleinunternehmer, Künstler, aber auch Arbeitnehmer, die plötzlich entlassen werden, sich nicht hinreichend durch die unkonventionell konventionelle Politik geschützt sehen. Es besteht eine hohe Privatinsolvenzgefahr. Die Leute wollen nicht von der Gängelung scheinbarer Erfordernisse abhängig sein und nicht von der fraglichen Treffsicherheit einzelner Transferzahlungen und Kredithilfen, wo doch jeden Tag neue „Notwendigkeiten“ das bisherige Staatshandeln immer wieder obsolet machen und den Staat auch schwach werden lassen.

Dieses jetzige Vorgehen ist ein Muddling through der unstrukturierten Art und Weise, das abgestellt gehört. Wenn eine Vielzahl der Bürger das erkennt – und die BGE-Einführungsforderung kommt ja aus der Zivilgesellschaft – und wenn der Staat immer weniger strukturiert zu handeln weiß, hat das BGE eine Einführungschance, und zwar vor allem durch das NGE in der Krise.

Der anschließende Reform- und Verstetigungsschritt in der Postkrisenzeit wird auf den Erfahrungen mit dem Krisen-Grundeinkommen aufbauen können und folglich mehr Rückhalt in Gesellschaft und Politik haben als eine Einführung des partizipativen BGE in guten Zeiten. Die Krise ermöglicht einen begründbaren graduellen Aufbau statt einer Big Bang-BGE-Reform oder eines abgespeckten, nicht zeitgerechten partiellen BGE nur um des Willens erhöhter Implementierungschancen in einer Phase prosperierender Wirtschaft.

Arbeiten wie mit Grundeinkommen

Ursprünglich veröffentlicht auf tbd*

Über die Autorin: Ronnit Wilmersdörffer arbeitet seit fünf Jahren im Social Startup Sektor und verstärkt seit kurzem das Team der Expedition Grundeinkommen. Die Expedition Grundeinkommen initiiert und begleitet Volksabstimmungen für einen staatlichen Modellversuch des bedingungslosen Grundeinkommens. Übrigens sucht die Expedition momentan eine*n Frontendentwickler*in  – hier geht es zur Ausschreibung.

Wie kann man dem Purpose und den Menschen in einem Team gleichermaßen gerecht werden? Das ist keine triviale Frage: in der Wirtschaft und im sozialen Sektor gleichermaßen werden Aufopferung für die Arbeit (oder eben die Sache) oft erwartet oder zumindest ermutigt. Trotz New Work Methodik und agilen Mindsets bleibt das Wohlbefinden und die Selbstorganisation der Mitarbeitenden in der Regel mittel zum Zweck zur Leistungssteigerung. Wie also sieht eine Organisation aus, in der menschliches Wohlbefinden mehr ist als ein großzügig ausgelegter Faktor in einer Effizienzfunktion?

Seit fünf Wochen bin ich Teil der Expedition Grundeinkommen, die sich dem politischen Vorantreiben des bedingungslosen Grundeinkommens verschrieben hat. Dahinter steht die Freiheit des Menschen als Selbstzweck, aber auch der Glaube, dass diese es den Menschen erst ermöglicht, positive gesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Diese Haltung haben die Gründer*innen auch in der Organisationskultur fest verankert: Neben dem erwartbaren Drive, der Vision und der unternehmerischen Haltung ist der Erhalt von Selbstbestimmtheit – jenseits von sozialen Erwartungen und Leistungsdruck – ein bezeichnender Bestandteil der Organisationskultur. Das manifestiert sich auf unterschiedlichen Ebenen.

Zum einen werden die Rahmenbedingungen für die Mitarbeit – wie inzwischen ja vielerorts – individuell ausgestaltet. Zum anderen herrscht aber ein ehrlicher Respekt dafür, dass Menschen jenseits von Arbeit und Projekt Raum in ihrem Leben brauchen: für Hobbies, Familie, Beziehungen und für körperliche und mentale Gesundheit. Darum ist die reguläre Arbeitswoche nur 32 Stunden lang. Auch andere Elemente der Zusammenarbeit verändern sich, wenn die menschliche Komponente gleichberechtigt zur sachlichen Arbeit Raum findet. Im Team wird verhältnismäßig viel über Gemütszustände gesprochen, Unwohlsein oder Konflikte an Ort und Stelle thematisiert – das ist durchaus nicht immer angenehm. Doch es eröffnet eben auch Räume für Ursachenforschung, Rücksichtnahme, gegenseitige Unterstützung, Konfliktlösung und eine agilere, nachhaltigere Art des Zusammenarbeitens.


Die Gründer*innen der Expedition Grundeinkommen – Laura und Joy.

Es bleibt dabei immer ein Seiltanz, die individuellen Bedürfnisse aller Teammitglieder und die sachlichen Anforderungen unserer Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Denn wie überall sonst gibt auch in dieser Organisation tendenziell mehr Arbeit als Personal, Bottlenecks und harte Deadlines. Auch wir machen Überstunden, manchmal auch jenseits der Komfortzone. Der Unterschied ist aber dieser: Wenn die Baseline Selbstfürsorge und die nachhaltige eigene Wirksamkeit – und nicht Effizienz als Selbstzweck – ist, dann ist außergewöhnliche Belastung eher eine 45- als eine 65-Stundenwoche. Entscheidungen werden getroffen, die solche Situationen möglichst vermeiden und nicht billigend in Kauf nehmen. Der Raum für Selbstfürsorge wird von allen Teammitgliedern selbstbewusst eingefordert und nicht entschuldigend gerechtfertigt. Denn so stellen wir uns eine Arbeitswelt vor, in der Menschen aus eigener Motivation und nicht aus wirtschaftlichen Zwang teilnehmen. Und auf so eine Welt arbeiten wir schließlich hin.

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